Berlin, 29.11.2019 | Impressionen und Statements von der Auftaktveranstaltung (Video: Deutsche Börse AG)
Bericht von der Auftaktveranstaltung (→ direkt zur Galerie)
„Kein Kenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit“
Das Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB) wurde am 29. November 2019 aus der Taufe gehoben – mit einem klaren Bekenntnis für Veränderung. Mit der Auftaktveranstaltung und der Verabschiedung der gemeinsamen Eckpunkte legten die Initiatoren den Grundstein für eine aktive, bundesweite und sektorenübergreifende Zusammenarbeit zur Förderung der ökonomischen Bildung in der Schule.
Es ist fünf Jahre her, da twitterte die damalige Kölner Schülerin Naina, dass sie Gedichte in vier Sprachen analysieren könne, aber keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen habe. Ganz neu war das nicht – bereits knapp 2.000 Jahre zuvor stellte der Philosoph Seneca fest: „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“. Auf diesen Zusammenhang wies auch Thomas Retzmann, Professor an der Universität Duisburg-Essen, beim Gründungsakt des Bündnisses Ökonomische Bildung (BÖB) hin und stellte die vier zentralen Forderungen der Initiative vor. Mit Blick auf die beiden bildungskritischen Äußerungen fragte er: „Hat sich denn wirklich in den vergangenen 2.000 Jahren so wenig getan?“
Nicht ob, sondern wie
Dass es Zeit für Veränderung wird, stellten viele der Beteiligten an diesem Tag im Berliner Haus der Land- und Ernährungswirtschaft fest. In einer initialen Pressekonferenz am Morgen warben Verena von Hugo (Flossbach von Storch Stiftung) und Malcolm Schauf (Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte) für die Idee des Bündnisses und forderten vor den anwesenden Interessenten und Medienvertretern, dass ökonomische Bildung endlich in ganz Deutschland fester Bestandteil der Schulbildung werden muss. Jürgen Böhm stellte als Bundesvorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer fest, dass es dabei „nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie“ ginge – Gestaltungsspielraum, den das Bündnis zukünftig mitprägen möchte.
Dass der Einsatz für eine stärkere Verankerung der Wirtschaftsbildung im Curriculum deutscher Schulen konsensfähig sein sollte, unterstrich Dirk Loerwald, Professor an der Universität Oldenburg und Leiter des dortigen Instituts für Ökonomische Bildung. Um zu verstehen, was etwa Donald Trump tue – und um zu bewerten, ob dies gut oder schlecht sei – brauche es ökonomische Bildung, so Loerwald. Diese sei daher stets eng mit einer Wertebildung verknüpft.
Ökonomische Bildung braucht Bezug zur Lebenswelt
Diejenigen, um die es in der Initiative geht – die Schülerinnen und Schüler – kamen in der darauffolgenden Gesprächsrunde zu Wort. Mia Mucke, Schülerin einer 11. Klasse (und wie Bloggerin Naina aus NRW), gestand, dass sie sich mehr wirtschaftliche Inhalte in der Schule wünscht. Viele ihrer Mitschüler dächten, bei Wirtschaft ginge es nur um Steuern, dabei stecke ja viel mehr dahinter. Bernadette Thielen, Lehrerin und Unternehmerin, sprach das Problem der sogenannten „Bindestrichfächer“ an: Oft müsse fachfremd unterrichtet werden und Lehrer wählten inhaltliche Schwerpunkte gemäß ihrer Ausbildung und persönlichen Präferenz. Oder anders ausgedrückt: Wenn sich Wirtschaftsunterricht neben Politik-, Rechts- oder Gesellschaftslehre behaupten soll, müssen Lehrer fachlich und didaktisch in Wirtschaft ausgebildet sein.
Familienunternehmer Thomas Rick ging noch einen Schritt weiter: „Wir haben nicht nur ein schulisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches.“ Auch der Vorsitzende des Bundeselternrats, Stephan Wassmuth, betonte die Verantwortung der Gesellschaft, junge Menschen auf die großen Herausforderungen, etwa die Digitalisierung, vorzubereiten.
Und was wünschen sich die Schüler von ökonomischer Bildung? Für Mia Mucke ist der Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen wichtig: „Ökonomie sollte so vermittelt werden, dass junge Menschen verstehen, dass wirtschaftliche Fragen sie alltäglich selbst betreffen.“
Unternehmerische Bereitschaft ist da, die Anreize müssen stimmen
Die konkreten Forderungen des Bündnisses wurden in einer zweiten Gesprächsrunde noch einmal aufgegriffen. Bettina Fuhrmann, Professorin für Wirtschaftspädagogik in Wien, bekräftigte die Bedeutung der Lehrerausbildung. Angehende Wirtschaftslehrkräfte müssten hinreichend fachwissenschaftlich wie wirtschaftsdidaktisch qualifiziert werden. Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, wünschte sich eine nationale Strategie für Bildung im Allgemeinen.
Anlass zum Optimismus sieht der Gründer und Stifter der Flossbach von Storch Stiftung, Kurt von Storch: „Ich sehe bei jungen Leuten einen großen Hunger nach ökonomischen Themen, der jedoch bislang nicht gestillt ist.“ Bei vielen erkenne er außerdem die Bereitschaft und den Willen, Unternehmer zu werden, allerdings müssten hierfür die Rahmenbedingungen und Anreize richtig gesetzt sein.
Eine nationale Strategie für ökonomische Bildung
In seiner Vorstellung der vier Forderungen legte Thomas Retzmann besonderes Augenmerk auf Forderung Nummer 4: Deutschland braucht eine nationale Strategie für ökonomische Bildung. Dieser Tag sei eine Einladung an weitere Partner, sich dem Bündnis und dem Streben nach einer nationalen Strategie aktiv anzuschließen. „In Deutschland herrscht kein Kenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit“, so der Wirtschaftsdidaktiker.
Wird die Politik hierfür ein offenes Ohr haben? Mit Yvonne Gebauer, Kultusministerin in NRW, sowie Dorit Stenke, Staatssekretärin im Schleswig-Holsteinischen Bildungsministerium, begrüßten schon einmal zwei Politikerinnen die Entstehung der Initiative per Videobotschaft. Auch Staatssekretär Volker Schebesta aus Baden-Württemberg äußerte sich im Vorfeld positiv zur Gründung des Bündnisses. Zur weiteren Planung und Umsetzung bildungspolitischer Maßnahmen im Sinne der ökonomischen Bildung haben die Ministerien nun einen jungen, aber kompetenten und handlungsfähigen Partner.
Wie geht es weiter
Für das Bündnis Ökonomische Bildung sind jetzt drei Tätigkeitsschwerpunkte wichtig: Weitere Unterstützer zu finden, Vernetzung und Austausch weiter zu stärken und die Realisierung ökonomischer Bildung in den einzelnen Bundesländern gemäß den Eckpunkten voranzutreiben.